Rekonstruktionsvorschlag des spätrömischen Militärgürtels aus Grab Nr. 74 des spätantik-frühmittelalterlichen Gräberfeldes von Jülich
Der Fund
Der Gürtel aus Grab Nr. 74 ist mit seiner Tierkopfschnalle, den beiden Beschlagplatten mit Astragalröhrchen, der Riemenzunge und den drei Ringösen ein typischer Vertreter der „einfachen Gürtelgarnituren“ Typ A nach H.W. Böhme. (1)
Dennoch weist der Jülicher Gürtel einige Besonderheiten auf:
- Alle Metallteile wurden komplett geborgen. Eine besondere Rarität sind hierbei die drei Gurtlochverstärker (siehe Abbildungen 3ee – 3gg), die bisher nur als Einzelfunde aus Furfooz und Birkesdorf bekannt sind. (2)
- Alle drei Zierhaken zu den Ringösen sind erhalten (siehe Abbildungen 3c, 3f, 3h). Zwei davon fragmentarisch, der dritte – wahrscheinlich historisch verlorengegangene wurde zur damaligen Zeit offensichtlich durch einen behelfsmäßigen, unverzierten Haken ersetzt. (siehe Abbildung 3h)
- Zwanzig silberplattierte Bronzenieten, deren Funktion bisher nicht eindeutig geklärt ist.
Zur Rekonstruktion
Die Anordnung der beiden Endplatten, der Gürtelschnalle sowie der Riemendurchzug unter dem Hauptgurt durch die Gürtelschnalle wurden bereits durch J. Ypey (3) ausreichend beschrieben. Ebenfalls wurde von J. Ypey beschrieben, dass eine Vielzahl von Gürtelschnallen und Endbeschlägen eindeutige Abnutzungsspuren zeigen, die auf ein partielles Überlappen dieser Metallteile deuten.
Bei einer bisherigen Tragezeit des rekonstruierten Gürtels von ca. 300 Stunden hat sich allerdings gezeigt, dass sich das schnallentragende Lederstück durch die auf es wirkende Zugkraft in Richtung Endbeschlag bewegt. (Siehe nachfolgende Abbildung)
Dieser Effekt könnte bei längerer Tragedauer zu einer Überlappung von Gürtelschnalle und Endbeschlag, und zu den daraus resultierenden Abnutzungserscheinungen führen. Eine primäre Überlappung der Teile ist daher nicht erforderlich.
Die Ringösen werden – anders als von J. Ypey vorgeschlagen, weiter seitlich am Körper angebracht, da der Praxisversuch zeigt, dass vor dem Körper liegende Ringösen bzw. daran angehängte Utensilien dort sehr hinderlich wären.
In dem hier gezeigten Rekonstruktionsvorschlag dienen die beiden links am Körper angebrachten Ringösen zum Einhängen der Spatha.
Die dritte Ringöse – rechts angebracht – wird zum Anhängen einer Gürteltasche verwendet.
Überlegung zu den zwanzig silberplattierten Nieten (4)
Wie bereits weiter oben erwähnt, ist die genaue Funktion dieser Nieten bisher nicht eindeutig geklärt. Bei genauer Betrachtung fällt auf, dass die Nietstiftlänge dieser zwanzig silberplattierten Nieten mindestens doppelt so groß ist wie die Nietstiftlänge aller anderen am Gürtel vorkommenden Nieten. (5) Dies ist ein Indiz dafür, dass noch etwas anderes an dem Hauptriemen aufgenietet war. Eine rein dekorative Funktion ist daher auszuschließen.
Der praktische Versuch zeigt, dass die überbreiten Gürtelriemen eine natürliche Tendenz zum Auswellen haben. Um dem entgegen zu wirken, wurden in der vorliegenden Rekonstruktion Riemenstrecker angebracht, um ein Auswellen zu verhindern.

Riemenstrecker aus Beinmaterial
Bronzene Riemenstrecker sind unter anderem aus Krefeld-Gellep, Nijmegen, Oudenburg, Dorchester und auch aus weiteren Grabfunden bekannt.
Da beim Grab Nr. 74 metallene Riemenstrecker fehlen, werden hier Riemenstrecker aus Beinmaterial vorgeschlagen. (6) Schmale Leisten aus organischem Material wären im Grab vergangen, können jedoch eine Erklärung für die doppelte Nietschaftlänge geben.
Resumee
Der hier gezeigte Rekonstruktionsvorschlag setzt alle im Grab Nr. 74 gefundenen, zu einer Gürtelgarnitur gehörenden Metallteile zu einem stimmigen Gesamtbild zusammen.
Im Praxisversuch bewährte sich diese Anordnung im Sinne von Tragekomfort und Zweckmäßigkeit.
Ob der Gürtel vor nahezu 1600 Jahren genauso aussah, wird allerdings ein Rätsel bleiben.
Tafel Grab Nr.74